Diskussion

Das Grundeinkommen in der Debatte: Georg Jähnig

Georg Jähnig, Berliner Pirat und Antragsteller von GP050 und PA083, den Johannes Ponader um die Forderung nach Mindestlohn ergänzte und als PA284 stellte.
Im Rahmen der Reihe »Das Grundeinkommen in der Debatte« ist nun Georg Jähnig an der Reihe. Er stellte bereits den Antrag GP050, welcher das Programm der PIRATEN seit dem Chemnitzer Parteitag richtungsweisend beeinflusste.
Georg ist Antragsteller von PA083, den Johannes Ponader um die Forderung nach Mindestlohn ergänzte und als PA284 stellte. Die #Sozialpiraten wollen ihm Raum geben, seine Gedanken zur Annahme dieses Antrags mitzuteilen.

Dieser Artikel wurde bereits am 8.12. hier
veröffentlicht
.


So, mit vier Tagen Abstand will ich nun auch etwas schreiben über den Piraten-Grundeinkommens-Beschluss von Samstag. Ich habe die letzten Tage viel über Twitter verfolgt und mich insbesondere von zwei kritischen Artikel bewegen lassen, den von Andre Martens und von Rüdiger Pretzlaff.

Zunächst einmal: Als das Abstimmergebnis von 66,9% verkündet wurde, habe ich nicht gejubelt, sondern dachte in dem Moment “oh oh, so viele haben wir nicht mitgenommen”. Sonst sind Programmanträge (meiner Erinnerung nach) immer recht klare Beschlüsse – ich kann mich nicht an eine Auszählung eines beschlossenen Programmantrages erinnern. Das
knappe Ergebnis fand ich also wirklich schade und, wie Johannes Ponader danach sagte, ist es eine große Aufforderung an die BGE-Befürworter, nun das andere Drittel mitzunehmen.

Später ist mir aber schon noch etwas aufgefallen, das die Knappheit relativiert. Der PA284 war nämlich ein dickes Paket mit vielen einzelnen Forderungen:

  • Wir setzen uns für das BGE ein
  • und nicht nur irgendeins, sondern definiert mit den vier Kriterien des Netzwerk Grundeinkommen.
  • Wir wollen eine Enquete-Kommission gründen
  • und eine Volksabstimmung dazu ermöglichen.
  • Bis zum BGE setzen wir uns für einen Mindestlohn ein.

Jeder dieser Punkte hatte das Potenzial, jemanden von der Befürwortung abzuhalten. Die Vermutung liegt nahe, dass unter den fast 1/3 Gegnern durchaus einige BGE-Befürworter dabei sind, die sich an den anderen Punkten wie z.B. Volksabstimmung oder Mindestlohn störten.

Allerdings hätte die Abstimmung geheim gemacht werden sollen – wie von einem Piraten beantragt, und wie auch damals in Bingen über LiquidFeedback.

Was haben wir da eigentlich beschlossen?

Kurz nach dem Beschluss begannen viele, den Antrag unterschiedlich zu interpretieren. Es hieß u.a., wir hätten ja eigentlich gar nichts beschlossen, sondern wollten nur “erstmal übers BGE reden”. Nun, so relativierend stimmt das nicht. Wir haben nämlich durchaus beschlossen, sich für ein BGE einzusetzen: Also eine Zahlung an jeden,

  • in existenz- und teilhabesichernder Höhe: ein niedriges “Spar-Grundeinkommen” ist damit ausgeschlossen
  • als individuellen Rechtsanspruch: also Grundeinkommen für jede Person und nicht für jede Bedarfsgemeinschaft;
  • ohne Bedürftigkeitsprüfung: also keine Diskriminierung zwischen Bedürftigen und Nicht-Bedürftigen;
  • ohne Zwang zur Arbeit oder anderen Gegenleistungen: Ein Bürgergeld-Konzept, dass eine Gegenleistung fordert, wird nicht gehen.

Ich finde, das ist schon ein konkrete Vorgabe. Aber es stimmt: was nicht dabei ist, ist ein Konzept zur Finanzierung oder wenigstens eine Skizze davon. Ich kann die Kritik hier durchaus verstehen. Und werde erklären, warum ich es trotzdem so für richtig halte.

Schauen wir uns das Wahlprogramm 2009 an. Unserer zentralen Forderungen waren und sind beim Urheberrecht das freie Kopieren von Werken unter Privatleuten, eine Verkürzung der Schutzfristen und eine Ablehnung von Patenten auf Software und Geschäftsideen.

Wir fordern das alles, ohne auf der anderen Seite genau zu beschreiben oder wenigstens zu skizzieren, wovon sich Künstler und Erfinder dann ernähren sollen. Stattdessen riefen wir sie auf, nach neuen Geschäftsmodellen zu suchen. Vielleicht in so etwas wie einer Enquete-Kommission? 😉

Ich will nicht sagen, das ist unseriös. Ganz im Gegenteil. Wir stellen diese Forderungen ja auf, weil wir wissen, dass das die neuen Grundlagen für das Informationszeitalter sein müssen. Es hat keinen Sinn, den unendlich kopierbaren Output eines Künstlers oder Erfinders genau so zu behandeln wie den nicht-kopierbaren eines Fabrikarbeiters.

Und auch wenn wir die notwendigen Veränderungen noch nicht genauer beschreiben konnten – wir haben ihre Notwendigkeit ins Wahlprogramm geschrieben.

Es gibt nun 2/3 Piraten, die die Notwendigkeit von wesentlichen Veränderungen auch auf dem Arbeitsmarkt sehen – offenbar je nach Wohnort etwas deutlicher oder schwächer. Vermutlich ist das auch unter Künstlern mit dem Urheberrecht so: die einen, die noch wunderbar von alten Tantiemen leben können vs. die anderen, die kaum mehr etwas davon abkriegen.

Wir haben bereits mit ReSET gesagt, dass Vollbeschäftigung nicht unser Ziel ist. Wenn also immer eine bestimmte Zahl an Bürgern ohne Arbeitseinkommen dasteht und wir das nicht primär ändern wollen, sollte das Beziehen von Einkommen vom Staat nicht mehr eine nur eine “Übergangsphase” sein, während der man (wenigstens moralisch) angehalten ist, wieder ein Arbeitseinkommen zu finden. Ein Einkommen für seine Grund- und Teilhabe-Bedürfnisse zu erhalten sollte – vergleichbar zum kostenlosen, staatlich finanzierten Schulbesuch – Normalfall sein.

Klar, um das zu finanzieren, müssen wir davon ausgehen, dass die Mehrheit der Menschen sich weiterhin in die Gesellschaft einbringen wird – entweder ehrenamtlich, und damit frei verfügbare Werte schafft (und den Finanzierungsbedarf senkt) – oder gegen zusätzliches Einkommen, von dem wir Steuern einnehmen (und das Grundeinkommen bezahlen) können. Was davon er tut, kann jeder selbst entscheiden, das Grundeinkommen sorgt für Freiheit statt Angst auf dem Arbeitsmarkt.

Mit BGE wollen wir also die Deckung der Grundbedürfnisse sozialisieren – genauso wie wir heute schon u.a. Bildung, öffentlich-rechtliche Medien und Gesundheitskosten sozialisiert haben.

Und natürlich wird ein BGE nicht alle Probleme lösen – wie auch kostenloser Schulbesuch nicht alle Bildungsprobleme löst. Ein sicheres Einkommen ist aber eine viel bessere Grundlage zur Lösung
vieler Probleme als ein unsicheres. Mehr über das BGE als besseren Default (im Vergleich zur Grundsicherung) hatte ich bereits
geschrieben.

Und auch wenn mir eine detaillierte Vorstellung über so ein neues Sozialsystem fehlt – Erfahrungen und “Beweise” sowieso – weiß ich doch, dass es funktionieren kann. Und dass es wichtig ist, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Analog zu den meisten von Euch, denen es beim Urheber- und Patentrecht so geht. Daher finde ich es richtig dass wir das – und zwar auch genau in der vorliegenden Form – so ins Wahlrogramm geschrieben haben.

Aber warum weiß ich das? Warum glaube ich, dass das BGE auf jeden Fall “finanzierbar” ist? (So wie wir alle wissen, dass es bei einem “piratigem” Urheberrecht immer noch Künstler geben wird?)

Finanzierbar vs. Produzierbar

Bei der Frage nach Finanzierbarkeit sollten wir – so extrem lächerlich das klingen mag – erstmal das Geld ausblenden.

Denn Geld soll ja eigentlich reale Werte, also geschaffene (und potentiell zu schaffende) Waren und Dienstleistungen repräsentieren. Wenn wir nun eine Situation haben wollen, in der 82 Millionen Menschen
einen bestimmten Geldbetrag sicher haben sollen, dann müssen wir mindestens soviele Waren und Dienstleistungen bereitstellen, dass alle diesen Geldbetrag ausgeben können. Wenn wir also an jeden ein Grundeinkommen in existenz- und teilhabesichernder Höhe zahlen wollen, dann müssen wir mindestens soviel Brot backen, soviel Wohnungen bauen, so viele Kino-Sitzplätze bereitstellen können usw., welche in der Grundeinkommens-Höhe gekauft werden können.

Kurz gesagt:

Das Grundeinkommen ist so finanzierbar, wie die entsprechenden Werte produzierbar sind.

Und die Frage nach Produzierbarkeit teilt sich in zwei Unterfragen auf, zum einen:

Haben wir heute die Kapazitäten, so viel zu produzieren, dass jeder ein Grundeinkommen ausgeben könnte? Die Antwort ist ein triviales Ja: Die allermeisten Menschen verfügen (mindestens) über ein solches Einkommen und von Problemen es auszugeben, hört man nichts (anders als in der DDR).

Aber die zweite Unterfrage ist die alles Entscheidende:

Bleibt diese Produzierbarkeit morgen erhalten, wenn jeder ein Grundeinkommen kriegt? Können wir immer noch soviele Werte herstellen, wenn niemand mehr ökonomisch gezwungen ist, für seine Grundbedürfnisse zu arbeiten?

An dieser Stelle könnte man nun eine große Debatte starten – und wenn das bei einer Grundeinkommens-Diskussion passiert, dann ist man genau
am richtigen Punkt: Beim Menschenbild. Hier im Hinblick auf: Was brauchen Menschen, um zu Arbeit motiviert zu sein? Ist Angst vor Armut notwendig?

Die Gespräche darüber sind die spannendsten: Man erfährt viel über sein Gegenüber und sonst so angeblich verbindende Labels wie “liberal” oder “links” scheinen plötzlich obsolet zu werden.

Meine Erfahrung aus solchen Gesprächen zeigt mir, dass es zwar durchaus hilft, meine Argumente zu bringen und z.B. Vergleiche zu Wikipedia und freier Software zu ziehen. Letztlich aber bildet sich die Meinung über das Menschenbild stark an eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Und “beweisbar” sind Menschenbilder in etwa so wie dieses Zitat oder die Überzeugung, Transparenz sei die besten Grundlage fürs Politikmachen. Dennoch sind sie Kernbestandteile unserer politischen Identität.

Wer der festen Überzeugung ist, dass Künstler nur dann Kunst schaffen, wenn sie das heutige Urheberrecht zur Verfügung haben, wird bestimmt nicht so
schnell mit unseren Forderungen in dem Bereich mitgehen. Er ist trotzdem eingeladen, sich mit uns und unseren Erfahrungen auszutauschen.

Enquete-Kommission und Volksabstimmung

Das entsprechende Menschenbild reicht natürlich nicht, um das Grundeinkommen tatsächlich einzuführen. Es wird natürlich skizziert werden müssen, wie ein Sozialsystem mit Grundeinkommen aussehen soll und welche Geldströme dort von wo nach wo fließen sollen. (Mein persönlicher Favorit ist ja bislang die Konsumsteuer als
Grundlage
.)

Haben wir es uns nun zu leicht gemacht, einfach nach einer Enquete-Kommission zu rufen und eine Volksabstimmung zu ermöglichen? Letztere, ohne Details wie z.B. Quoren? Ist das nicht ein Widerspruch, einerseits etwas zu fordern und andererseits aber zu sagen: “Das Volk soll abstimmen”?

Nun, eine Forderung zu haben, aber letztlich direktdemokratisch entscheiden lassen zu wollen, ist in anderen Ländern durchaus etwas Normales. In jedem neuen EU-Land gab es Parteien, die sich vorher für den EU-Beitritt ihres Landes einsetzen – und gleichzeitig dafür, dass darüber das Volk abstimmen sollte. Einige alte EU-Länder machten das bei der (dann gescheiterten) EU-Verfassung so. Es ist völlig legitim, etwas zu fordern, aber gleichzeitig zu erkennen, dass die Forderung so wesentlich ist, dass sie möglichst breit legitimiert sein sollte – oder zumindest die Möglichkeit dazu besteht.

Volksabstimmungen auf Bundesebene haben wir übrigens auch schon im letzten Wahlprogramm gefordert – auch ohne Details wie Quoten zu nennen.

Den Vorwurf, dass wir es uns vielleicht zu leicht machen, den kann ich schon verstehen. Kam es mir auch erst selbst so vor bei der ersten Idee zum Antrag. Andererseits: Wäre nur die Forderung nach BGE (wie sie schon im Berliner Wahlprogramm stand) nicht noch “leichter gemacht”?

Indem wir den
Weg mit Enquete und Volksabstimmung
dazu beschreiben, machen wir klar, welche Werkzeuge wir nutzen wollen, die wir als Bundestagsfraktion haben werden. Wir erkennen, dass eine solche Umstellung viel wesentlicher ist als z.B. die beim Urheberrecht, dass wir also eine Option zu möglichst breiter Legitimation geben wollen. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass wir bis 2013 mehr Details kennen werden.

Unsere Wähler wissen so, was sie von uns zu erwarten haben:

Dass wir nämlich nicht zum 1.1.2014 das BGE einführen werden. Dass wir aber für Öffentlichkeit und für eine fundierte Auseinandersetzung darüber sorgen werden. Dass Vollbeschäftigung nicht das Ziel ist – und wir die Konsequenzen daraus erkannt haben. Dass wir vielleicht keine noch Antworten haben, aber die richtigen Fragen
stellen werden.

Meines Erachtens ein Riesen-Diff zu allen bislang im Bundestag vertretenen Parteien.

… und was schief gelaufen ist

Ja, und so richtig ich den Beschluss finde, bin ich mit seinem Zustandekommen nicht glücklich. Viele von Euch haben sich offenbar überrumpelt gefühlt und ich kann nur versichern, dass das nicht meine Intention war.

Ich habe alles gemacht, was mir in den Sinn kam, um den Ursprungs-Antrag PA083(=PA284 ohne Mindestlohn) vorher bekannt zu machen: ihn in LiquidFeedback gestellt, darüber getwittert und
gebloggt, ihn im Dicken Engel und bei den Sozialpiraten vorgestellt.

Es kann sein, dass das zuwenig oder nicht das Richtige war. Wir sollten daher auch nochmal gründlich über die Vorbereitung von Programmparteitagen und die Werkzeuge dazu nachdenken.

Ansonsten: Lasst uns nun übers Grundeinkommen reden – oder es nächste Mal mit etwas besserem ersetzen.

2 Kommentare zu “Das Grundeinkommen in der Debatte: Georg Jähnig

  1. Hi, bitte korrigieren: “Georg Jähnig, Antragsteller von PA083, den Johannes Ponader um die Forderung nach Mindestlohn ergänzte und als PA284 stellte.”

  2. sagt:Bounty war 124 Euro. c4rgerlich, wir sind noch 11, setze jmd. all in, der called, am Nebentisch wird seat open geeufrn, ich gewinne die Hand und er ist raus, hat aber als 10ter den Final Table rechnerisch erreicht und kann seinen Bounty einstecken.

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