von Christiane vom Schloss, Thomas Küppers – nach einer Idee von Malte Seidler
»Oft verstärkt eine Sanktion Rückzug und Antriebsarmut. Sie stört das Vertrauen in die Behörde als ›Partnerin‹, fördert destruktive Verhaltensweisen und zieht erhebliche Zeitverluste im Integrationsprozess nach sich.« Kurzum: Sanktionen bringen nichts – dieses Zitat stammt nicht von einem Politiker sondern vom Jobcenter Kiel. Wir haben diese bemerkenswerte Aussage aufgeriffen und wollen sachlich die Sanktionsproblematik beleuchten:
Seit dem letzten Jahr kamen die Jobcenter kaum aus den Schlagzeilen: In Neuss schockierte ein Mann ganz Deutschland, weil er die Mitarbeiterin des örtlichen Jobcenters erstach (1). In Leipzig griff ein »Kunde« seine Sachbearbeiterin mit einem Hammer an (2). Bundesweit haben Jobcenter ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Allein in Kiel wurden 30 Fälle bekannt, bei denen Arbeitslose »die Nerven verloren« (3). Die Kieler reagierten mit einer bundesweiten Ausschreibung für den Einsatz eines privaten Sicherheitsdienstes, weil die Mitarbeiter Angst haben – Angst vor ihren sogenannten Kunden. Laut der Studie der gesetzlichen Unfallversicherung fühlen sich fast 70% der Mitarbeiterinnen in den 400 Jobcentern regelmäßig bedroht (4).
Gleichzeitig beklagen Parteien und Verbände immer wieder die Zustände in Jobcentern, fehlende Sitzgelegenheiten, mangelnden Datenschutz, Vertrauensverlust in Sachbearbeiter, vermutete Schikanen durch fehlerhafte Bescheide und die Angst der Menschen vor der Sanktionierung der kargen »Grundsicherung« (5).
Dabei ist der Büroaufwand für Jobcentermitarbeiter sowie Leistungsempfänger enorm: Die Klagen über rechtlich problematische Leistungsbescheide beschäftigen Gerichte in einem Ausmaß, das Richter bei den Sozialgerichten die Arbeit kaum bewältigen können. Ende August letzten Jahres gab es 196 880 Widersprüche und 200 544 Klagen bei Sozialgerichten. Jeder zweiten Klage wurde ganz oder zumindest teilweise stattgeben (6).
Sehr häufig geht es bei Widersprüchen um sogenannte Sanktionen, die verhängt wurden, weil Menschen ihren Termin im Jobcenter nicht wahrgenommen haben, zu spät kamen oder sich unzureichend um Arbeit bemühten.
Zunächst erscheinen Sanktionen ja sinnvoll, da sie in der Außenwahrnehmung der Jobcenter der Gesellschaft zeigen, dass das Leben mit Hartz IV kein Zuckerlecken ist. Jeder soll sich bemühen, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er soll nachweisen, dass er dem Steuerzahler nicht willkürlich und desinteressiert auf der Tasche liegt.
Da verblüfft das Statement vom Jobcenter Kiel schon! Der Leiter des Jobcenters Kiel, Michael Stremlau, stellte persönlich die folgende »Geschäftliche Mitteilung« im Sozialausschuss der Landeshauptstadt Kiel zum Thema »Situation bei Sanktionen von Leistungsbeziehern bis 25 Jahren« vor.
Wortwörtlich steht dort: »Sanktionen haben den Zweck, eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Die Erfahrungen der letzten neun Jahre haben gezeigt, dass mit der Verhängung einer Sanktion nur selten Impulse zur Motivationssteigerung gesetzt werden konnten. Oft verstärkt eine Sanktion Rückzug und Antriebsarmut. Sie stört das Vertrauen in die Behörde als ›Partnerin‹ , fördert destruktive Verhaltensweisen und zieht erhebliche Zeitverluste im Integrationsprozess nach sich. (7)«
Wie bitte? Sanktionen, die seit Jahren dazu führen, dass die Mitarbeiterinnen in Jobcentern Angst vor ihren Kunden haben und machmal tätlichen Angriffen ausgeliefert sind, bringen nur selten etwas?
Eigentlich ist die Information nicht einmal neu. Schon 2013 wurden zwei Studien veröffentlicht, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Betroffen von Sanktionen sind die jüngsten Kunden der Jobcenter. Folglich verschulden sich junge Menschen. Viele klagen über psychische Probleme. Ziemlich einhellig erklären gerade die unter 25-Jährigen, die am häufigsten Sanktionen erleiden, ihr Vertrauen in die Mitarbeiter des Jobcenters sei erschüttert, sie hätten den Kontakt zum Jobcenter abgebrochen. (8+9) Dies kann zur Streichung der Leistungen führen, im Extremfall zur Obdachlosigkeit. Für die jüngsten Kunden der Jobcenter sind nämlich die härtesten Sanktionen vorgesehen. Schon bei der ersten Pflichtverletzung kann der Regelsatz vollständig gestrichen werden (10).
Dabei sind es doch gerade die jungen Menschen, die unsere Gesellschaft angesichts der rückläufigen Geburtenraten, dem daraus resultierenden Fachkräftemangel und der Rentenproblematik dringend braucht (11). Die Gesetze erfüllen offensichtlich ihren Zweck nicht, den unter 25-jährigen Arbeitssuchenden zu helfen sich auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren.
Hinzu kommt ja auch, dass genau die jungen Menschen verstärkt Hilfe benötigen, weil sie noch nicht die richtige Ausbildung für sich gefunden haben oder eben die Arbeitsstelle, die ihnen wirklich liegt. Dies kann unserer Gesellschaft doch nicht wichtiger sein als die Bestrafung von Menschen, die sich vordergründig betrachtet nicht wertekonform verhalten.
Mit Gesetzen, die keine Sanktionen vorsehen, könnten die Mitarbeiter in den Jobcentern angstfrei dafür sorgen, dass die jungen Menschen motivierter sind, sich engagieren und arbeiten wollen.
Deshalb fordern wir Piraten die Abschaffung genau dieser menschenunwürdigen Bürokratie und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dies wäre ein System, das ohne Sanktionen auskommt, ohne Bürokratie, ohne sinnlose Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und demütigende Ein-Euro-Jobs.
Wäre dies ungerecht, weil dann Menschen weniger belohnt werden, die jeden Tag pünktlich zur Arbeit gehen oder pünktlich bei der Behörde erscheinen, um ihr Geld abzuholen?
Vordergründig betrachtet sicherlich. Demzufolge müsste eine ehrliche Diskussion, welche Werte der Mehrheit der Bevölkerung wirklich wichtig sind, in Gang kommen. Augenblicklich zahlen wir alle für die aktuelle Gesetzgebung und die daraus resultierenden Zustände in den Jobcentern einen hohen Preis. Besonders gilt dies für die Mitarbeiter der Jobcenter, deren Kunden, aber eben auch für unsere gesamte Gesellschaft.
Dabei wollen wir doch Armut abschaffen und nicht Reichtum oder Gerechtigkeit. Warum also dieses System? Im Hamburger Wirtschaftsinstitut haben Wissenschaftler errechnet, dass ein Grundeinkommen machbar ist (12).
Und was würden die Mitarbeiter der Jobcenter zukünftig tun, wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen könnten?
Statt menschenunwürdige Zustände zu verwalten würden sie das tun, wofür wir sie brauchen: Individuell beraten, helfen und passende Jobs suchen. Dafür hätten sie dann ja ausreichend Zeit und sicherlich mehr Freude bei ihrer Arbeit als Berater von Arbeitssuchenden, die sich dann wie Kunden fühlen dürften und nicht wie gedemütigte Almosenempfänger.
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