Diskussion

Rainer Wüllner: Prekäre Arbeitsverhältnisse – Die Wahrheit auf dem Arbeitsmarkt jenseits der Statistik

Wenn man sich den Wikipediaeintrag zum Begriff Prekariat [1] anschaut, wird man feststellen, dass Prekariat und prekäre Arbeitsverhältnisse nicht zu 100% deckungsgleich sind. Während es sich beim Prekariat um eine Bezeichnung einer sozial als niedrig einzustufenden Gruppierung handelt, haben prekäre Arbeitsverhältnisse bei verschiedenen Definitionen diese Elemente gemeinsam:

1. Ein unsicheres Arbeitsverhältnis: damit sind sowohl Befristung als auch die schlechte soziale Absicherung gemeint.
2. Geringe betriebliche Integration
3. Kein Einkommen, das Arbeitnehmern die Möglichkeit gibt, sich einen Vermögensstock aufzubauen.

Wie sieht heutzutage prekäre Beschäftigung aus?

Beim Betrachten der Arbeitsplatzsituation vieler Beschäftigter sind die Ausprägungen prekärer Beschäftigung mannigfaltig. Viele Unternehmen beauftragen heute Subunternehmer, Dienstleistungsunternehmer oder Zeitarbeitsfirmen, um teilweise elementare Unternehmensfunktionen zu betreiben. Für Außenstehende sind diese Unterschiede oft nicht zu erkennen. Aus Sicht der Entscheidungsträger liegt der Vorteil in einer langfristigen Kostenersparnis. Dies hat in den meisten Fällen die Folge, dass die Beschäftigten dieser Firmen oft mit schlechteren Arbeits- und Tarifverträgen ausgestattet sind.

Gesamtwirtschaftlich betrachtet kommt zu diesen Tendenzen die schlichte Tatsache hinzu, dass ein immer größerer Anteil der Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz im Dienstleistungssektor bekleidet. Wenn man nun sich die Kapitalausstattung eines typischen Dienstleistungsunternehmens vor Augen hält, dann wird einem schnell bewusst wie gering das Betriebsvermögen der einzelnen Branchen sich im Vergleich zum Industriesektor verhält.

Somit steckt ein großer Teil des Betriebsvermögens eines durchschnittlichen Dienstleistungsunternehmens im Erfahrungsschatz der Arbeitnehmer. Leider hat bis heute das interne Rechnungswesen keinen Weg gefunden, diesen Erfahrungsschatz in Kostenkalkulation einfließen zu lassen. Im Gegenteil: Alles was der Gesundheit bzw. der Weiterbildung der Mitarbeiter dient, wird von den Unternehmen oft nur als Kosten, aber nicht als Investition wahrgenommen.

Zu den Ausgestaltungen vieler Arbeitsverhältnisse kommt ein weiteres Problem hinzu, über das sich viele Entscheidungsträger zu wenig Gedanken machen: Die Bindungen zum einzelnen Unternehmen durch den Arbeitnehmer (und umgekehrt).

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass die Loyalitätsverhältnisse auf beiden Seiten, also sowohl bei Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern immer weiter auseinanderdriften. D.h. für das beauftragte Unternehmen ist es auf dem Papier relativ einfach, sich von einem Dienstleister zu trennen. Auf der anderen Seite ist von einem Arbeitnehmer, der in seinem Anstellungsverhältnis keine Perspektive sieht, keine große Loyalität zu erwarten.

Da heutige durchschnittliche Dienstleistungsunternehmen bis auf den Erfahrungsschatz ihrer (externen) Mitarbeiter über kaum nennenswertes Kapital verfügen, sollte auch jedem Nichtökonomen klar werden, wie gefährlich sich auf lange Sicht solche Beschäftigungskonstrukte entwickeln können.
Leider hat die gerade beschriebene Mentalität der Entscheidungsträger nicht nur in der freien Wirtschaft um sich geschlagen. Auch der öffentliche Dienst – hier sei beispielhaft der Hochschulbereich genannt – ist von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nicht ausgenommen. [2] [3]

Gesamtgesellschaftlich betrachtet bedeutet dies, dass eine ganze Generation heranwächst, für die prekäre Arbeitsverhältnisse der Normalfall sind. Was dies für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet und welchen sozialen Sprengstoff diese Situation birgt, kann sich jeder selber ausrechnen!

Entwicklungen

Arbeitnehmer, die die letzten 20 Jahre an sich vorbeiziehen lassen, stellen fest, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen der Realität und dem Arbeitsmarkt gibt, welcher uns von den politischen Verantwortlichen verkauft wird.

Oft wird die Gesamtzahl der Arbeitnehmer als Erfolgsgeschichte verkauft. Es ist richtig, dass Deutschland einen Höchststand an Arbeitnehmer hat. Dies ist aber nur die eine Wahrheit. Ein großer Teil der prekären Beschäftigung des Zuwachses ist vor allem im Teilzeitbereich anzutreffen. Hier sind der soziale Schutz, Planbarkeit des Erwerbslebens und Bezahlung besonders schlecht ausgeprägt. Anhand der Entwicklung der Vollzeitstellen muss man Erschreckendes feststellen:

Seit 1991 hat sich Zahl der Vollzeitstellen von 29,3 Millionen auf 23,9 Millionen im Jahre 2011 reduziert. [4] Natürlich kann nicht jedem Teilzeitbeschäftigten unterstellt werden, dass er mit Gewalt zu seinem Arbeitsverhältnis gezwungen wurde. Auch ist die Gleichsetzung von Teilzeitbeschäftigung mit prekärer Beschäftigung nicht immer gegeben. Aber die Zahl der Menschen, die tatsächlich autonom mit ihrer Arbeitsstelle ihr Leben bestreiten konnten, hat in den vergangenen 20 Jahren um 18,4% abgenommen. Hierbei sind die Aufstocker mit Vollzeitstelle (2007 gab es 440.000 laut DGB [5]) noch gar nicht eingerechnet.

An diesen Zahlen sind die Schattenseiten unserer Dienstleistungsgesellschaft zu sehen, was von den politischen Verantwortlichen immer verschwiegen wird.

Deshalb fordern wir:
• Begrenzung der Leiharbeit! [6]
• Gleichberechtigung und Gleichbezahlung aller Arbeitnehmer eines Unternehmens unabhängig von ihrem Arbeitsvertrag! [7]
• Einen Mindestlohn von 9,02 (9,77) Euro für das Jahr 2013! [8]

Dies sind unsere Mittel der Wahl, um Menschen eine sichere Erwerbsperspektive zu bieten.

Lektorat: Stefan Czinczoll

1 Kommentar zu “Rainer Wüllner: Prekäre Arbeitsverhältnisse – Die Wahrheit auf dem Arbeitsmarkt jenseits der Statistik

  1. Begrenzung der Leiharbeit, hätte es von Anfang an Geben müssen allein dies zeigt das es der Politik egal ist was auf den Arbeitsmarkt passiert denn sie haben selbst nix zu sagen denn dies wird vom Kapital bestimmt und wer das wohl ist sollte ja wohl jeder wissen jene Banken die sich unsere Steuergelder holen und da braucht man nichts weiter zu sagen den Politiker werden von Ihnen ja mit gut bezahlten Jobs Belohnt55VD siehe Gerd Schröder

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