Diskussion

Rainer Wüllner: Agenda 2010, Eurokrise und der Mindestlohn

Am 14. März 2003 verkündete Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung die Agenda 2010. Was zur damaligen Zeit von vielen als Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit angesehen wurde, lässt heute -10 Jahre danach- keine echte Feierstimmung aufkommen.

Obwohl die Agenda 2010 nicht nur die Hartzgesetze beinhaltete, spiegelte sowohl die Zielrichtung als auch die parallel stattfindenden Maßnahmen den Zeitgeist eines Großteils der politischen Klasse wieder. Heute, im Jahr 2013, haben sich viele Entwicklungen in der Arbeitswelt ergeben, die nur zum Teil auf die Einführung von Arbeitslosengeld 2 zurückzuführen sind.

Ein Ziel der damaligen Rot-Grünen Bundesregierung war die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik und infolge desse einen wirksamen Beitrag zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. [1] Wenn man sich heute die statistischen Zahlen bezüglich Exportüberschüssen und Arbeitslosigkeit betrachtet, beschleicht einen dass Gefühl, dass Gerhard Schröder Recht mit seinem Maßnahmen hatte.

Nur leider lebt der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht in Statistiken sondern in der Realität.

Viel weitreichender als die Arbeitsmarktreformen der Agendapolitik war der Mentalitätswechsel in großen Teilen der Unternehmerschaft in Deutschland. Demzufolge weiteten viele Betriebe die Möglichkeit zum Outsourcen ganzer Dienstleistungsbereiche massiv aus. Gleichzeitig scheuten sich immer mehr Betriebe davor, Mitarbeiter unbefristet einzustellen.

Das Ergebnis war die Zunahme der Beschäftigungsverhältnisse in Arbeitnehmerüberlassung und Zeitarbeit. Die Generation der neuen Arbeitnehmer sah sich zu einem großen Teil prekärer Beschäftigungsverhältnisse gegenüber (Generation Praktikum!).

Dies war unter anderem deshalb möglich, weil die Arbeitgeber es schafften, mit der Drohung des Jobverlust und des daraus folgenden sozialen Abstiegs von ihren Beschäftigten Zugeständnisse abzuverlangen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung war ein erheblicher Reallohnverlust. [2]

Jeder, der sich heutzutage in der normalen Arbeitswelt bewegt, wird feststellen, dass die Lage am Arbeitsmarkt sich in den letzten 10 Jahren nicht wesentlich verbessert hat. Weder kann sich ein beliebiger Arbeitnehmer einen Job aussuchen, noch können Firmen von einem „Fachkräftemangel“ sprechen, ohne dass sie sich lächerlich machen. Somit ist klar, dass die Fixierung nur auf die Arbeitslosigkeitsstatistik sich im Nachhinein als nicht zielführend erwiesen hat. Glücklicherweise haben die Piraten dies schon letztes Jahr in Bochum so erkannt und beschlossen, sich vom alleinigen Primat der Vollbeschäftigung zu verabschieden. [3]

Eine weitere Folge der Niedriglohnpolitik der deutschen Unternehmer war das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Raum. Was früher mit Wechselkursen ausgeglichen werden konnte, führte jetzt zu Handelsbilanzdefiziten. Die Folge war ein Zunehmen der Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten des Euroraums. Das perfide an dieser Entwicklung ist, dass die Exportwirtschaft und ihre Profiteure in Deutschland eine Minderheit darstellen. Durch Bürgschaften und Direkttransfers werden aber nun wieder alle Steuerzahler und Transferempfänger in der Bundesrepublik in die Pflicht genommen. Dadurch bekommt die These: “Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren“ eine erneute Verifikation!

Die Frage, die sich jetzt stellt, ist die Frage welche Alternativen es zu Abwertungen gibt, die in einem gemeinsamen Währungsraum nicht mehr möglich sind. Die bisherige Krisenpolitik, die von der Bundesrepublik den Krisenstaaten oktroyiert wurde, war bisher eine Austeritätspolitik, die im Endeffekt nichts anderes darstellt als die Kopie der Agenda 2010. Dass Deutschland mit diesen Maßnahmen keinen Beliebtheitswettbewerb gewinnen konnte, war allen Politikern in der Europäischen Union von vornherein klar. Leider ist bis heute nicht erwogen worden, einen anderen Schritt zu wagen, der im Ergebnis zu ähnlichen Resultaten führen könnte:

Deutschland verringert seine Wettbewerbsfähigkeit!

Was bei vielen Ökonomen einen Blutsturz verursacht, wäre aus einer volkswirtschaftlich rationalen Kosten/Nutzen Analyse vielleicht gar nicht so paradox.

Da es sich bei einem Wettbewerbsvergleich in der Eurozone um nichts anderes handelt als ein Vergleich der Produktivität pro Arbeitsstunde bzw. der Stückkosten wäre es unter Umständen geboten, diese Werte durch ein höheres Lohnniveau in Deutschland sich unseren Nachbarstaaten in Europa wieder anzunähern.

Eine Maßnahme, um dieses Ziel zu erreichen wäre die Etablierung einer Lohnuntergrenze, die das gesamte Tarifgefüge nach oben drücken würde.

Deshalb fordern wir: Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 9,02 (9,77) Euro für das Jahr 2013! [4]

Somit ist diese Forderung eine Möglichkeit, neben dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit die makroökonomischen Kennziffern in Europa wieder anzugleichen und die Staatshaushalte in den Unionsstaaten zu entlasten.

1 Kommentar zu “Rainer Wüllner: Agenda 2010, Eurokrise und der Mindestlohn

  1. Anti-Schroder, 20 Im Sommer diesen Jahres hat uns unser Bundeskanzler Schröder mit einer ziemlich rüden Aussage zum Thema Arbeitslosigkeit geschockt. Er meinte, daß ein Großteil der Arbeitslosen nur zu faul sei und es nicht verdient hätte, vom sozialen Netz aufgefangen zu werden. Sofort gingen die Proteststürme los, alle meckerten rum und sagten dem Kanzler nach, der wäre weltfremd und wüßte gar nicht, was er mit dieser Aussage angerichtet habe. Allein die, die davon betroffen sind, wissen wie es ihnen geht.

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