Vor wenigen Wochen wurde mit deutlicher Mehrheit das Thema “Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)” für die zweite Themenwoche im ersten Quartal 2016 vorgeschlagen [1]. Einige Wochen zuvor stimmten Piraten aus Rheinland-Pfalz für das Positionspapier “Das BGE als zukunftsweisende Umsetzung des Sozialstaatsprinzip” und sprachen sich mehrheitlich für ein wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zur Einführung eines BGE als Wahlprogramm für die Landtagswahl 2016 aus [2, 3]. Im Saarland wurde der politische Geschäftsführer der Piratenpartei Jörg Arweiler in einem Fernsehinterview des Saarländischen Rundfunk zum Thema BGE befragt [4]. Wie aus einer offiziellen Pressemitteilung des Landesverbandes Saarland der Piratenpartei hervorgeht, soll in allen saarländischen Optionskommunen ein BGE-Modellprojekt über mindestens 5 Jahre gestartet werden, bei dem alle Bürger 1000 € monatlich als bedingungsloses Grundeinkommen erhalten [5]. Es scheint so, als ob das Grundeinkommen, seit der Bundestagswahl 2013 eher in eine politische Nebenrolle geraten, nun innerhalb der Piratenpartei eine Wiedergeburt erlebt.
Das Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe wurde bereits vier Jahre nach Gründung der Piratenpartei Deutschland in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen [6]. Allerdings wurde bis zum Wahlprogramm 2013 der Begriff “Bedingungsloses Grundeinkommen” vermieden. Gemäß unserem aktuellen Grundsatzprogramm soll die Forderung einer sicheren Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe lediglich individuell und bedingungslos garantiert werden [7]. Erst mit dem Wahlprogramm 2013 wurde in den Leitlinien zum Bedingungslosen Grundeinkommen die vier Kriterien genannt, die mittlerweile den Begriff “Bedingungsloses Grundeinkommen” klar definieren: ohne Bedingungen, existenz- und teilhabesichernd, individuell garantiert und ohne Bedürftigkeitsprüfung [8].
Warum diese Rückbesinnung auf das BGE?
Zunächst sollte erwähnt werden, dass die Forderung nach einem Grundeinkommen schon seit den Landtagswahlen 2011 und 2012 in der öffentlichen Wahrnehmung sehr stark mit der Piratenpartei verbunden ist. Keine andere Partei hat sich dahingehend so klar positioniert. Und es existiert seit dieser Zeit ein harter Kern von Piraten, die sich nach wie vor für die Forderung eines BGE stark machen. Ich denke, das Wiedererwachen des Thema BGE innerhalb der Partei könnte in der Suche nach klaren Abgrenzungen zu den üblichen Parteien begründet liegen.
Während 2013 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE ein Grundeinkommen bzw. eine Kindergrundsicherung und eine Mindestrente in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl aufgenommen hatten [9,10], scheint das Thema BGE für die Bundestagswahl 2017 in beiden Parteien nicht mehr relevant zu sein. Im Herbst 2015 unterstützte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Enquete-Kommission zum Grundeinkommen im Bundestag nicht. Genannt wurde zur Begründung: “der zurzeit fehlende ,Resonanzboden’ für das Thema in der Gesellschaft” [11]. Auch bei den Linken fehlt es derzeit an Mehrheiten, um sich klar für ein BGE auszusprechen [12]. Damit rückt die Piratenpartei wieder in den Fokus eine klare Befürworterin für ein BGE zu sein.
Das BGE als Chance für die Partei
Mit der BGE-Themenwoche können wir Piraten zeigen, dass wir zu unseren Beschlüssen stehen und eine politische Kontinuität aufweisen. Damit heben wir uns sehr deutlich von anderen Parteien ab. Als Themenbeauftragter für Sozialpolitik und Koordinator der AG-BGE begrüße ich es sehr, dass nach der Themenwoche “Openantrag” nun das BGE ausgewählt wurde. Denn nach meiner Einschätzung zeigen gerade diese beiden politischen Ziele sehr deutlich unsere gesellschaftliche Bedeutung als moderne, zukunftsorientierte, weltoffene Partei und ergänzen sich in hervorragender Weise. Denn mit beiden Themen stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft. Und genau das ist ein unbestrittenes Merkmal dieser Partei.
Unter dem Motto “Das BGE und die Industrie von Morgen” soll das Bedingungslose Grundeinkommen als nächster Schritt unserer gesellschaftlich kulturellen Evolution herausgestellt werden. Erkenntnisse, Erfindungen und Entdeckungen in der Menschheitsgeschichte haben zu der modernen Gesellschaftsform geführt, in der wir heute leben und waren unabdingbare Voraussetzungen für viele gesellschaftlich, kulturelle Errungenschaften, die heute unbestreitbare Grundlagen unserer Zivilisation darstellen. Viele dieser Grundpfeiler fielen nicht vom Himmel, sondern mussten oft hart erkämpft werden: Die Menschenrechte, das allgemeine Wahlrecht und die Gleichstellung von Mann und Frau sind nur einige Beispiele eines langwierigen Entwicklungsprozesses.
Unbestritten hat auch der industrielle Fortschritt in den letzten beiden Jahrhunderten wesentlichen Anteil an den gesellschaftlichen Standards, die heute niemand mehr missen möchte.
Im 19. Jahrhundert führte die erste industrielle Revolution von einer Agrargesellschaft zu einer Industriegesellschaft mit weitreichenden Folgen im Sozialen [13]. Das Knappschaftsgesetz, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Invaliditäts- und Altersversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung und die Einführung der Selbstversicherung erfolgten in den Jahren 1854 bis 1894. [14,15]
Auch die zweite industrielle Revolution, die durch die Nutzung von Elektrizität gekennzeichnet ist, führte zu weiteren sozialen Standards wie das Kinderschutzgesetz, das Witwenrentengesetz, das Reichsknappschaftsgesetz und die Arbeitslosenversicherung [15,16,17,18].
Mit der Einführung der Mikroelektronik begann um 1970 die dritte industrielle Revolution. Die Pflegeversicherung und die umstrittene SGB-II-Gesetzgebung (Hartz-IV-Gesetze) fallen in diese Epoche [19,20,21].
Seit etwa 15 Jahren ist mit der Einführung der Digitalisierung ein kontinuierlicher Umwandlungsprozess innerhalb unserer Industriegesellschaft festzustellen, der zu einer immer stärker und allumfassenden Vernetzung von Maschinen, Herstellungsabläufen und Produktionsprozessen führt [22]. Wissenschaftliche Studien belegen, dass viele Berufe und Berufszweige in naher Zukunft überflüssig werden [23]. Zwar werden auch neue Berufszweige durch die vierte industrielle Revolution entstehen, doch die Frage bleibt, ob für alle ein ausreichendes Arbeitsmarktangebot in naher Zukunft gewährleistet werden kann. Sicher wird sein, dass sich der Trend mehrere Berufe innerhalb eines Berufsleben auszuüben, wie es heute schon in der Arbeitswelt festzustellen ist, noch verschärfen wird. Diese hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der arbeitenden Bevölkerung muss mit einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Komponente entgegengetreten werden. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde die dafür notwendigen Freiräume schaffen. Lebenslanges Lernen, neue Tätigkeitsfelder, hohe Flexibilität und Stärkung der eigenen Kreativität sind, nach meiner Einschätzung, genau die Vorgaben, um die vierte industrielle Revolution für alle Menschen in unserem Land zum Erfolg werden zu lassen. Und genau diese Chance haben wir Piraten erkannt.
Quellenangabe:
[1]https://team_polgf.piratenpad.de/2015-11-17-Teammumble?
[2]http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:RLP/2015.2/009/Das_BGE_als_zukunftsweisende_Umsetzung_des_Sozialstaatsprinzip
[3]http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:RLP/2015.2/006/Wissenschaftlicher_Modellversuch_zur_Einf%C3%BChrung_BGE
[4]https://youtu.be/Eygdm_3OV74
[5]https://piratenpartei-saarland.de/2015/11/16/piraten-setzen-auf-ihrem-landesparteitag-auf-kontinuitaet/
[6]https://wiki.piratenpartei.de/Bundesparteitag_2010.2/Antragskommission/Antr%C3%A4ge_2010.2/2010-10-04_-_Recht_auf_sichere_Existenz_und_gesellschaftl
[7] Grundsatzprogramm Piratenpartei, Ausgabe 2013, Seite 35 ff]
[8] Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013, Seite 75 ff]
[9]http://gruenes-grundeinkommen.de/2013/
[10]https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2013/bundestagswahlprogramm/bundestagswahlprogramm2013_langfassung.pdf
[11]https://www.grundeinkommen.de/02/10/2015/pressemitteilung-buendnis-90die-gruenen-schaffen-klarheit-absage-an-enquete-kommission-grundeinkommen.html
[12]http://www.die-linke.de/partei/organe/parteitage/bielefelder-parteitag-2015/beschluesse-und-resolutionen/die-linke-und-das-bedingungslose-grundeinkommen/
[13]https://de.wikipedia.org/wiki/Industrielle_Revolution
[14]http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag4480.html
[15]https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Sozialversicherung_in_Deutschland
[16]https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_industrielle_Revolution
[17]https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderschutzgesetz
[18]https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsknappschaftsgesetz
[19]https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale_Revolution
[20]http://www.arbeitslosengeld-2.de/2009/03/hartz1-bis-hartz4-kurze-geschichte-der-hartz-gesetze/
[21]https://sozialversicherung-kompetent.de/sozialversicherung/allgemeines/29-geschichte-der-pflegeversicherung.html
[22]https://de.wikipedia.org/wiki/Industrie_4.0
[23]https://www.ing-diba.de/pdf/ueber-uns/presse/publikationen/ing-diba-economic-research-die-roboter-kommen.pdf
0 Kommentare zu “Die BGE-Themenwoche”