Bisher fehlt der Piratenpartei ein wirtschaftspolitisches Programm. Unsere Forderung nach einem neuen Ansatz in der Sozialpolitik, definiert durch das Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe, sowie dem Wahlprogrammantrag „Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn“, steht daher ohne Zusammenhang zur Wirtschaftspolitik.
Mehrere Initiativen versuchen nun, diesen weißen Fleck zu besetzen. Allen voran der Grundsatzprogrammantrag „Wirtschaftspolitische Grundsätze der Piratenpartei“ von @Palpatin80, @JanHemme, @bln42 und @MartinHaase. Dieser versteht Wirtschaftspolitik im Sinne der klassischen, in Politik- und Wirtschaftswissenschaften allgemein verwendeten Begriffsdefinition. Die Autoren konzentrieren sich dabei darauf, aus den Kernforderungen der Partei (sozialer Ausgleich, Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe, Plattformneutralität sowie freie und selbstbestimmte Entfaltung von Lebens- und Erwerbsentwürfen), grundsätzliche wirtschaftspolitische Leitlinien abzuleiten.
Vom Alternativantrag unterscheidet er sich daher sowohl im Ansatz und Struktur (Dreiteilung in Ordnungs-, Struktur- und Prozesspolitik) als auch durch den Verzicht, bestimmte Themenbereiche bereits im Wirtschaftsprogramm konkret abzustecken oder vorhandenes in Kurzform zu duplizieren.
Uns Autoren ist es wichtig, sich von der neoliberalen Ideologie anderer Parteien abzugrenzen und Wirtschaftspolitik von innen heraus zu denken. Die für die Piratenpartei zentralen Punkte, „Plattformneutralität“ und das positive Menschenbild, sollen sich daher im Antrag widerspiegeln. Anderen AGs und Landesarbeitsgruppen bleibt es wie bisher möglich, auf der Grundlage der im Antrag formulierten Eckpunkte, ihrerseits Grundsatzprogramm-Abschnitte für die Ausgestaltung der einzelnen Themenfelder zu erarbeiten (insbesondere für den Bereich Prozesspolitik: z.B. Arbeit- und Sozialpolitik, Europa, Energiepolitik, Steuern- und Fiskalpolitik, Bildung etc.) – ohne bereits im Wirtschaftsprogramm zu weit vorzugreifen.
Wir Autoren freuen uns über kritische Kommentierung sowie Anregungen bzw. Verbesserungsvorschläge – idealerweise bis zum Wochenende, damit diese noch vor der Einfrierungsphase im Liquid eingearbeitet werden können. Den aktuellen Entwurf stellen wir an dieser Stelle und im Liquid Feedback (Initiative 4270) zur Verfügung.
Antragstext:
Es wird beantragt, im Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland nach Kapitel 2, Mehr Demokratie wagen, folgendes als Kapitel 3, Wirtschaftspolitik, einzufügen:
Wirtschaftspolitik
Die Piratenpartei Deutschland strebt die Verbindung von Wettbewerbswirtschaft und sozialem Ausgleich an. Der Wirtschaftspolitik der Piratenpartei liegt ein Menschenbild zu Grunde, das den Menschen als Wesen begreift, welches nicht nur seinen ökonomischen Nutzen zu maximieren sucht, sondern auch danach strebt, selbstbestimmt zu leben und sich gemäß seinem kreativen Potential zu entfalten.
Im Sinne des Konzeptes der Plattformneutralität muss die Wirtschaftsordnung jedem Menschen das Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe garantieren, diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur gewährleisten und eine freie und selbstbestimmte Entfaltung von Lebens- und Erwerbsentwürfen ermöglichen.
Die Politik der Piratenpartei hat einen wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen zum Ziel, der einen Ausgleich zwischen den klassischen volkswirtschaftlichen Zielen, Wachstum, Stabilität, hohem Beschäftigungsstand und Außenwirtschaftsgleichgewicht, sowie den gesellschaftspolitischen Zielen der Partei herstellt. Für die Piratenpartei misst sich wirtschaftlicher Erfolg nicht nur an ökonomischen Parametern des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, z.B. der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes oder dem Beschäftigungsstand, sondern vor allem auch an gesellschaftlichen Größen wie Verteilungsgerechtigkeit, ökologischen Nachhaltigkeitszielen und dem schonenden Umgang mit Ressourcen, sowie Wohlbefinden und Zufriedenheit der Bevölkerung im Sinne des Bruttonationalglücks.
Den wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen aktiv gestalten
Die Piratenpartei Deutschland fordert einen wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen, der Machtkonzentrationen und Monopolstellungen, sowie die sich daraus ergebenen sozialen und ökonomischen negativen Effekte verhindert, die wohlstandmehrende Funktionsfähigkeit der Wettbewerbswirtschaft fördert und transparente Preisbildung sicherstellt. Auf Märkten mit natürlichen Monopolen, sowie bei für die Daseinsvorsorge notwendig erachteten Gütern und Leistungen, sollen unabhängige staatliche Regulierungsbehörden für Transparenz und ein wirtschaftlich begründbares Angebot sorgen.
Die Piratenpartei setzt sich für eine Eigentumsordnung ein, die Individualeigentum schützt, aber auch Zwischenformen von Individual- und Kollektiveigentum oder eigentumsähnliche Nutzungsrechte berücksichtigt. Eingriffsrechte des Staates, wie z.B. das aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums abgeleitete Recht auf Besteuerung, sollen sicherstellen, dass der Gebrauch des Eigentums auch dem gesellschaftlichen Gemeinwohl zugute kommt. Insbesondere im Bereich Immaterialgüter lehnt die Piratenpartei die künstliche Verknappung von gemeinsam nutzbaren Gütern ab, da diese dem freien Fluss von Ideen, Informationen und Innovationen in der modernen Wissensgesellschaft entgegensteht.
Die Piratenpartei bekennt sich zum Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Vertragsfreiheit soll insoweit beschränkt werden, um den Zugang zu Gütern der Daseinsvorsorge zu gewährleisten, beim Vorliegen von ungleichen Verhandlungspositionen den schwächeren Vertragspartner zu schützen – insbesondere im Bereich Miet- und Arbeitsrecht – und, um Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder Geschlecht zu verhindern. Anschluss- und Benutzungszwänge lehnt die Piratenpartei ab, solange es sich nicht um Güter der Daseinsvorsorge, infrastrukturellen Teilhabe oder der öffentlich-rechtlichen Versorgung handelt. Zur Sicherstellung demokratischer Kontrolle und einer effektiven Korruptionsbekämpfung müssen bei Vertragsabschlüssen sowohl für staatliche Stellen als auch für die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betrauten privatwirtschaftlichen Unternehmen besondere Haftungs-, Transparenz- und Veröffentlichungspflichten gelten.
Mit strukturpolitischen Weichenstellungen flexibel auf Veränderungen reagieren
Globalisierung und Digitalisierung stellen den Industrie- und Hochtechnologiestandort Deutschland vor enorme Herausforderungen. Um den Transformationsprozess von der Industrie- zur Wissensgesellschaft erfolgreich zu meistern, fordert die Piratenpartei Deutschland eine grundlegende Überprüfung der bisherigen sektoralen und regionalen strukturpolitischen Maßnahmen, um die Chancen des wirtschaftlichen Veränderungsprozesses zu nutzen und die negativen Seiten des Strukturwandels abzuschwächen, als auch sozial verträglich zu gestalten.
Neben klassischen Maßnahmen der Investitionsförderung zur Ansiedlung von Industrie in Fördergebieten, sollen in der regionalen Strukturpolitik auch neue und bisher undenkbare Wege der dezentralen Produktion, ortsunabhängigen Arbeit und des freien Austausches von Wissen berücksichtigt werden.
Im Bereich der sektoralen Strukturpolitik müssen Subventionen und Steuervergünstigungen grundsätzlich überprüft und beim Erreichen des Förderzwecks konsequent zurückgefahren werden. Die bisherige Erhaltungspolitik soll zugunsten einer Förderpolitik weiterentwickelt werden, die den Strukturwandel nicht zugunsten der Erhaltung des Status Quo verzögert, sondern aktiv gestaltet.
Da wirtschaftlicher Erfolg in der Informationsgesellschaft zunehmend von Wissen und Informationen, sowie deren Erschließung abhängig ist, fordert die Piratenpartei eine Strukturpolitik, die nicht nur zukunftsträchtige Technologieunternehmen fördert, sondern den Bildungsbereich als integralen Lösungsbestandteil begreift und auch entsprechend finanziell ausstattet.
Durch prozesspolitische Eingriffe das Marktgeschehen korrigieren und ergänzen
Die Piratenpartei Deutschland fordert dort, wo Wettbewerbswirtschaft versagt und angestrebte Gleichgewichte zwischen volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Zielen bedroht sind, ein aktives Eingreifen staatlicher Stellen in die Wirtschaft. Dies soll das Marktgeschehen ergänzen und korrigieren.
So soll der Staat aus Sicht der Piratenpartei aktiv in die Marktprozesse eingreifen, um im Rahmen konjunkturpolitischer Maßnahmen wie Konjunkturprogramme den Wirtschaftskreislauf zu stabilisieren, die Nutzung von natürlichen Ressourcen so zu bepreisen, dass eine Ausbeutung auf Kosten der Allgemeinheit verhindert wird und über eine ausgewogene Geld- und Preispolitik die Verbraucher und Sparer geschützt werden.
Eine besondere Rolle kommt aus Sicht der Piratenpartei der Arbeitsmarkt- und Einkommenspolitik zu. Es ist abzusehen, dass der Strukturwandel, hin zu einer global vernetzten Wissensgesellschaft, tiefgreifende Auswirkungen auf die Lebens- und Erwerbswelt haben wird. Die Auflösung traditioneller Beschäftigungsverhältnisse und die Herausbildung neuer hybrider Formen zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit erfordern eine grundlegende Reform des Sozialstaates, um die Bevölkerung vor ausbeuterischen Abhängigkeitsverhältnissen zu schützen. Daher muss es nach den Vorstellungen der Piratenpartei Aufgabe des Staates sein, jedem Menschen, bedingungslos und unabhängig seiner sozialen Herkunft, ein größtmögliches Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und Teilnahme am Wirtschaftsleben zu ermöglichen.
Begründung:
Der Piratenpartei fehlen aktuell grundlegende Positionen zu der von uns angestrebten Wirtschaftspolitik.
Diese Initiative ist ein Vorschlag, diesen weissen Fleck zu schliessen und die Wirtschaftspolitik von der neoliberalen bzw. etatistischen Ideologie der traditionellen Parteien abzugrenzen. Die Autoren wollen Wirtschaftspolitk von innen heraus denken und vor aus dem für die Piratenpartei zentralen Punkt der Plattformneutraliät (s.u.) ableiten.
Der hier formulierte Vorschlag orientiert sich eng an der in Politik und Volkwirtschaftslehre allgemein akzeptierten Begriffsdefinition und Struktur (Begriffstrias: Ordnungspolitik, Strukturpolitik, Prozesspolitik) und konzentriert sich auf wirtschaftspolitische Grundsätze im engeren Sinne.
Aus diesem Grund werden hier auch die Steuer- und Fiskalpolitik, sowie einzelne Wirtschaftssektoren (wie z.B. Energiepolitik, ÖPNV, Bildungsfinanzierung) ausgespart, bzw. unter den prozesspolitischen Eingriffen lediglich angerissen, damit die AGs und Landesarbeitsgruppen für die spezifische Fragen und Themenfelder eigene Abschnitte für das Grundsatzprogramm bzw. Programm zur Bundestagswahl entwickeln können.
Wir bitten ausdrücklich um inhaltliche Anregungen, um einen zustimmungsfähigen Kompromiss für den Bundesparteitag einzureichen. Wir sind daher auch der Meinung, dass wir strittige Punkte im Zweifel lieber offen formulieren sollten, als uns auf Teufel-komm-raus auf ein konkrete Positionen festlegen zu müssen (Beispiel BGE: dort wird im letzten Absatz lediglich das dahinterstehende Prinzip genannt…)
Super, ich hoffe der Antrag wird in Bochum angenommen!
Ich werde dafür stimmen! Auch in LQFB schein er gut angekommen zu sein.