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Dr. Gernot Reipen: Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in Japan

Eine kurze persönliche Zusammenfassung des Symposiums „Grundeinkommen und Demokratie“ an der Alanus Hochschule am 22.01.2014 in Alfter bei Bonn.

Der Fleiß und die Emsigkeit japanischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist in Westeuropa und der gesamten Welt bekannt. Dazu gehört auch die große Loyalität, die der Japaner seinem Betrieb bzw. seinem Unternehmen entgegenbringt. Überstunden absolvieren, in der Freizeit oder am Wochenende noch berufliche Arbeiten ausführen stellt für den Japaner eine Ehrensache dar und ist als ein ungeschriebener Ehrenkodex in der japanischen Gesellschaft tief verwurzelt.

Dass die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auch in Japan in der gesellschaftlichen Diskussion, den Medien und auf der politischen Bühne mittlerweile Einzug gehalten hat, stellt für mich eine neue Erkenntnis dar. Das ist Grund genug für eine kurze persönliche Zusammenfassung zur Idee des Grundeinkommens in Japan. Hierzu möchte ich auf die japanischen Gastbeiträge zurückgreifen, die auf dem Symposium „Grundeinkommen und Demokratie“ vorgestellt und diskutiert wurde.

Die Katastrophe in Fukushima am 11. März 2011 gab der japanischen Gesellschaft deutliche Impulse zu einer neuen Reflexion über politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge. Bislang galt nach Auskunft von Prof. Yoshimi Bessho (Nagoya City Universität, Japan) der Satz: „wirtschaftliches Wachstum beseitigt alle Probleme!“

In seinem Vortrag „Grundeinkommen als demokratische Grundlage für eine nachhaltige Gesellschaft – aus japanischer Sicht nach Fukushima“ macht er deutlich, dass es sich bei der Katastrophe am 11. März nicht um eine Naturkatastrophe handelt, sondern um eine vom Menschen verursachte Tragödie, deren Ausmaß noch immer nicht abzuschätzen ist. Während die Schäden des Tsunamis als primäre Naturkatastrophe absehbar und weitestgehend reparabel sind, ist der sekundär verursachte Supergau der Kernschmelze im Atomkraftwerk von Fukushima derart außer Kontrolle geraten, dass weite Teile der Umgebung für unabsehbare Zeit unbewohnbar bleiben werden, und Folgeschäden aus dem atomaren Störfall die gesamte Bevölkerung Japans auch in Zukunft in Mitleidenschaft ziehen wird.

Herr Bessho macht die demokratischen Strukturen in Japan mitverantwortlich für das Desaster der Aufarbeitung dieses Unglückes. Er wirft der Demokratie in seinem Land Unreife vor. Regierung und politisch Verantwortliche halten Informationen bewusst zurück. „Neuer Aufschwung in der Wirtschaft“, lautet die derzeitige Devise. Dazu zählt auch, trotz massiver Proteste, die weitere Nutzung der Kernenergie. Ein wichtiger Verbündeter der einseitigen Informationen ist die unzureichende Pressearbeit in Japan.

Prof. Bessho plädiert in seinem Vortrag für eine „deliberative Demokratie“ oder „partizipatorische Demokratie“, die gekennzeichnet sind durch öffentlichen Diskurs, öffentliche Beratung und die Teilhabe der Bürger an öffentlicher Kommunikation und öffentlicher Mitwirkung an politischen Entscheidungsprozessen.

Eine seiner Forderungen lautet: „transformiere die eigene Wertvorstellung und Präferenzen durch öffentlichen Diskurs oder Deliberation“. Des weiteren mahnt er, politische Entscheidungen nicht allein von Wirtschaftswachstumsparadigmen abhängig zu machen. Für ihn stellt das Grundeinkommen eine wichtige Voraussetzung seiner Forderungen dar und er verweist dabei auf das Essay von Tony Fitzpatrick „Freedom and Security – An Introduction to the Basic Income“.
Freiheit und Existenzsicherung des Menschen sind seiner Meinung nach wichtige Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie, wobei er das mit einem Zitat von Friedrich Schiller unterstreicht: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt!“

Prof. Toru Yamamori, (Doshisha University, Kyoto, Japan / University of Cambridge, UK) gibt in seinem Vortrag „Grundeinkommensbewegungen in Japan – Gegenwart und Zukunft“ einen Überblick über die Geschichte der Grundeinkommensdebatte in Japan.

Die Idee des Grundeinkommens hat auch in Asien (China und Japan) laut Yamamori eine lange Tradition. Denn bereits im 6. Jh (China) und 7. Jh (Japan) gab es bereits die Forderung zu einem Grundeinkommen. So existierte beispielsweise das Gesetz: „Wenn der Staat von seinen Bürgern etwas verlangt, zum Beispiel Kriegsdienst, dann muss der Staat seinen Bürgern auch einen Gegenlohn entrichten!“

Generell aber lässt sich sagen, dass die Grundeinkommensbewegung in Japan hervorgegangen ist aus den Bürgerbewegungen und Protesten benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Eine essentiell wichtige Bedeutung ist den Organisationen der Tagelöhner und der Behinderten zuzusprechen. Hierzu muss man wissen, dass das Sozialsystem in Japan nicht so umfassend greift wie in Europa oder Deutschland.

Die Geburt eines missgebildeten Kindes stellt für die Familie noch heute einen gesellschaftlichen Makel dar. Oft werden diese Kinder aus Verzweiflung von den Eltern getötet, wobei sich die Eltern nicht selten ebenfalls das Leben nehmen. Der Gesellschaft zu Last fallen, dieser Gedanke ist für die meisten Japanern unerträglich. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Sozialleistungen weit weniger in Anspruch genommen werden als zum Beispiel in Deutschland.

Eine sozial-schwache Stellung haben auch die Tagelöhner in Japan. Sie werden oft unterbezahlt, sind sozial kaum abgesichert und müssen mit ihrem kargen Lohn noch die Zeiten der Nichtbeschäftigung überbrücken. Hierzu zählen auch die Arbeiter im Baugewerbe. Viele leben an bzw. unterhalb der Armutsgrenze. Die Selbstmordrate ist in dieser Bevölkerungsgruppe besonders hoch. Japan liegt in der Statistik der Selbstmorde an dritter Stelle weltweit.
Gerade aus der Arbeiterschaft des Baugewerbes wird seit langem die Forderung eines Grundeinkommens erhoben.

So begann man 2000 in Japan mit ersten wissenschaftlichen Studien zum Thema Grundeinkommen. 2007 wurde das Thema erstmals in den Medien behandelt, 2009 wurde das Netzwerk Grundeinkommen gegründet und im gleichen Jahr fand via Internet eine starke Verbreitung dieser Idee in der Bevölkerung statt. Auch TV-Sendungen wurden ausgestrahlt, die auch nachts um 1:00 Uhr noch hohe Zuschauerzahlen erreichten.

Seit 2007 findet das Grundeinkommen Unterstützung durch zahlreiche Verbände und Organisationen: Behinderte, Alleinerziehende, Schulverweigerer, Gewerkschaften und Obdachlosen.

Mittlerweile haben die Grünen in Japan das Grundeinkommen in ihr Wahlprogramm aufgenommen, ebenfalls einige kleinere Parteien. An erster Stelle in der Debatte steht die Finanzierbarkeit, die Stärkung der Menschenrechte spielt dabei eine weniger wichtige Rolle.

Für Prof. Yamamori ist das Grundeinkommen ein Licht am Ende des Tunnels einer konformen Gesellschaft in Japan. Er sagt: „Nach wie vor sind wir in einer Arbeitsgesellschaft gefangen!“ Das Grundeinkommen stellt somit eine Befreiung des Menschen dar”. Seine Devise lautet: “Learn from history, share our experience, discuss and act for our future!“

Als letzten Beitrag möchte ich den Vortrag „Grundeinkommen und Menschenwürde“ von Dr. Nobuaki Iwasa (Aichi-Gakuin University, Nagoya, Japan) zusammenfassen.

Zunächst verweist Herr Dr. Iwasa darauf, dass der Begriff „Würde“ mehr Bedeutungen hat als in der westlichen Welt. So umfasst dieses Wort im japanischen alle Lebewesen; alle Lebewesen besitzen demnach eine Würde. Der Begriff „Menschenwürde“ wurde aus der westlichen Kultur übernommen. Beide Begriffe „Würde“ und „Menschenwürde“ haben einen gleichen Stellenwert und werden nebeneinander in der japanischen Sprache verwendet.

Herr Dr. Iwasa beschreibt zu Beginn die „Polis“ im antiken Griechenland. Die Polis bildeten freie Bürger, die über ihren Staat und das Gemeinwesen frei und barrierefrei diskutieren konnten. Diese Freiheit und Ungebundenheit war nur möglich durch Sklavenarbeit.

In der modernen Welt wird die Freiheit des Menschen durch den Zwang zur Arbeit aufgehoben bzw. eingeschränkt. Wir müssen arbeiten, um zu essen! Durch den Kapitalismus ist nach seiner Ansicht der Mensch zum arbeitenden Tier degradiert. Er fordert daher: „Der Mensch muss sich vom Zwang zur Produktivität befreien!“ Und solange der Mensch zur Arbeit verpflichtet ist, gibt es keine Freiheit.
Er verweist dabei auf Erich Fromm (deutsch-US-amerikanischer Psychoanalytiker und Philosoph). Nach dessen Thesen würde ein Grundeinkommen den Menschen von Angst, Neid und Missgunst befreien. Und so fordert bereits 1966 Fromm, die Befreiung des „Homo consumens“ von den Zwängen einer Konsumgesellschaft (persönliche Anmerkung: ich würde hier die Befreiung von einer Leistungsgesellschaft ergänzen).

Zum Schluss beschreibt er den Begriff „Würde“ eines italienischen Philosophen sinngemäß wie folgt: „Der Mensch besitzt Würde, weil er die freie Wahl hat zu entscheiden, ob er wieder zum Tier wird oder dem Göttlichen in seinem Wesen einen Schritt näher kommt!“

Verfasser: Dr. Gernot Reipen

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