Der dritte Themenabend der AG BGE fand am 22. Februar zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ein Weg für Europa?“ statt. Unter dem Titel ‘Zivilgesellschaftliche Vernetzung’ wurde das Ergebnis der europäischen Bürgerinitiative zum BGE sowie vor allem zukünftige Initiativen auf EU Ebene betrachtet. Danach wurden mit ‘Pfade zum BGE? Wohlfahrtsregimes in Europa’ die Sozialsysteme bzw. Traditionen einiger EU-Mitglieder analysiert, um daraus Wege zum BGE abzuleiten. Abschließend beschäftigte sich ‘BGE für Europa – Umsetzungsmöglichkeiten’ noch mit praktischen Möglichkeiten und Beschränkungen bei der Einführung eines BGE auf EU Ebene. Daran schloss sich wie üblich eine Diskussion an, deren Ergebnisse im folgenden jeweils bei der Zusammenfassung der Einzelvorträge berücksichtigt ist. Die beiden ersten Teile wurden von Stefan Füsers, der letzte von Andre Presse vorgetragen.
Gerade in der aktuelle Situation der EU mit der Krise insbesondere im südlichen Bereich und die Wahl zum EU Parlament sollte Anlass sein, uns mit dem Thema BGE auf EU Ebene zu beschäftigen. Schließlich sehen wir in der Krise in Europa, soziale Spannungen, Abschottung statt Solidarität. In Kürze sind wieder Wahlen zum Europaparlament. Bietet das BGE einen Weg zu einem sozialen Europa? Müssen sich die traditionellen Wohlfahrtssysteme in Europa jedes für sich zum BGE hin entwickeln oder kann man direkt ein transnationales Grundeinkommen schaffen? Was sind die Vor- und Nachteile der beiden Entwicklungsmöglichkeiten? Dennoch die EBI also die europäisch Bürgerinitiative zum BGE ist gescheitert – oder hat sie ihr Ziel doch erreicht? Mit diesen Themen und Fragen beschäftigen sich die Vorträge dieses Themenabends.
Zivilgesellschaftliche Vernetzung
Die europäische Bürgerinitiative zum bedingungslosen Grundeinkommen kurz EBI konnte nur rund 300 000 Stimmen statt der notwendigen Million erreichen. Sie hat das Quorum gerade in den großen Mitgliedsländern, wie auch in Deutschland, klar verfehlt. Immerhin wurde in einigen kleineren Ländern wie Bulgarien oder Slowenien das Quorum tatsächlich erreicht. Immerhin hat die EBI zur Diskussion zum BGE beigetragen, indem sie einige weitere Länder erreicht hat.
Aus Sicht der Initiatoren entspricht das dem eigentlichen Ziel der Initiative. Schließlich wurde von vornherein nicht erwartet, dass diese EBI eine Einführung des BGE in Europa bringen würde oder auch nur, dass das BGE durch die etablierten Parteien im Parlament oder die EU Kommission aufgegriffen wird. Schließlich ist Sozialpolitik Sache der Mitgliedsstaaten.
Die EBI war gedacht als Impuls für die langfristige Weiterarbeit am BGE. Deswegen wurde ausgehend von der EBI das Netwerk Unconditional Basic Income Europe gegründet, das zwischenzeitlich am 10.April seine erste Konferenz in Brüssel erlebte. Von diesem sollen zukünftig weitere Initiativen und Diskussionen auf EU Ebene ausgehen und dort sollen die BGE Unterstützer in den einzelnen Mitgliedsländern Unterstützung zwecks europäischer Vernetzung finden. Die Finanzierung soll neben crowdfundig und willkommenen Spenden auf EU Mittel beruhen, für die ein Förderantrag in Planung ist.
Pfade zum BGE? Wohlfahrtsregimes in Europa
Der Paradigmenwechsel in der sozialen Sicherung und im Steuersystem, den das BGE beinhaltet, zeigt sich für die Akzeptanz des BGE in vielen Diskussionen als eine hohe Hürde. Schließlich sind viele so fest im bestehenden verwurzelt, dass es oft schwer fällt und Zeit braucht die eingefahrenen Denkmuster zu verlassen. So ist im bestehenden deutschen Sozialsystem das soziokulturelle Existenzminimum also die sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe schon verankert und damit ein Kriterium des BGE schon erfüllt. Aber der Paradigmenwechsel weg von der Bedürftigkeitsorientierung ist oft schwer zu vermitteln.
Auf europäischer Ebene betrachtet, hat jeder Staat seine eigene Traditionen, die eben von der Idee des BGE unterschiedlich weit entfernt sind. Deswegen erscheinen unterschiedliche Pfade zum BGE in den einzelnen Ländern sinnvoll, um an das dort vorhandene anzuknüpfen. Denn eine revolutionäre Umwälzung erscheint nicht als erfolgversprechend. Der Grundgedanke ist, dass die Gesellschaften einfach Träge sind, so dass eine langsame Entwicklung ausgehend vom Ist-Zustand erforderlich ist. Deswegen ist die Frage nach dem jeweiligen Wohlfahrtsregime interessant. Dabei steht hinter dem Begriff Wohlfahrtsregime die Art, wie das Sozialsystem in einem Staat organisiert ist. Die Frage ist, welche Varianten gibt es und wie lassen sich Bezüge zum BGE herstellen?
Dazu gibt es eine grundlegende Untersuchung vom dänischen Politikwissenschaftler und Soziologen Gøsta Esping-Andersen (The Three Worlds of Welfare Capitalism). Andersen typisiert die Wohlfahrtsregimes besonders in Europa in drei unterschiedliche Gruppen nämlich ein liberales, ein sozialdemokratisches und ein konservatives Modell.
Das erste Modell ist das liberale bzw. das liberal- angelsächsische. Bei diesem Typ steht die Marktlogik und private Absicherung im Vordergrund. Daher sind die Sozialstaatsleistungen insgesamt gering ausgeprägt, da Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit als zentral gelten. Der staatliche Einfluss soll minimiert werden, während der Markt eine zentrale Rolle hat (Mindestlöhne zur Sicherung der Lohnuntergrenze werden durchaus genutzt). Dieses Modell ist traditionell in den USA und UK vorherrschend. Seit dem Ende des Kommunismus wurden die Sozialsysteme in vielen Staaten Osteuropas nach diesem Modell umgestaltet.
Diese Umgestaltung war eine tiefgreifende Änderung, da die vorherigen kommunistischen Systeme nicht marktorientiert sondern statt dessen durch eine große Staatsrolle geprägt waren. Das zweite Modell, das sozialdemokratisch-skandinavische teilt diese Strukturmerkmale mit den früheren kommunistischen Wohlfahrtsregimes.Das sozialdemokratische Modell wird oft als Wohlfahrtsstaat oder universeller Sozialstaat bezeichnet. Hier besteht ein dichtes Netz von sozialen Dienstleistungen z.B. sehr gute Kinderbetreuung und aktive Arbeitsmarktpolitik. Dazu tritt eine umfangreiche monetäre Absicherung im Fall von beispielsweise Arbeitslosigkeit. Dies ist mit hohen Steuerquote verbunden. Der typische Vertreter war wenigstens bis in die 1990er Jahre Schweden.
Das konservativ-kontinentaleuropäische Modell als drittes liegt in seinem Leistungsumfang zwischen den beiden anderen. Leistungen sind typischerweise so konzipiert, dass sie einen bestimmten Lebensstandard konservieren sollen wie beispielsweise die Rente den Lebensstandard im Alter sichern soll (daher konservativ). Außer der Grundsicherung sind die Leistungen über Versicherungen (statt Steuern) realisiert. Also an Arbeit und vorherige Beiträge zu den jeweiligen Sozialversicherungen gebunden. Entsprechend erfolgt die Auszahlung nach dem Äquivalenzprinzip, d.h. abhängig von der Höhe und Dauer zuvor entrichteter Beiträge. Zudem sind die Versicherungen meist nicht einheitlich für alle sondern es herrschen klassenartige Strukturen (z.B. Rente für Arbeiter, Pensionen für Beamte und für Selbständige eher Lebensversicherungen). Ein typischer Vertreter ist Deutschland.
Aus Sicht des BGE ergeben sich somit sehr unterschiedliche Ausgangslagen und so scheinen an die jeweiligen Traditionen angepasste Wege zum BGE sinnvoll. Für Deutschland als Teil der konservativen Gruppe bietet sich als ein Ansatz die Vereinheitlichung an. Das spricht das Gerechtigkeitsgefühl an wie beispielsweise die Zusammenlegung von Renten und Pensionen gemäß „jeder soll Beiträge entrichten“ (also Gleichstellung von abhängig Beschäftigten und Beamte). Gerade wenn wie in Deutschland solche Konzepte (Rentenmodell nach Schweizer Modell)schon in der Diskussion sind, ergeben sich Anknüpfungspunkte. Gibt es dazu schon anerkannte, drohende Probleme wie Altersarmut, kann einen Pfad entwickeln. Ein solcher wäre dann die schrittweise Einführung über die Absicherung einzelner Klassen also beispielsweise Altersgrundsicherung als Start, gefolgt von der Kindergrundsicherung und weiterer bis ein einheitliches Grundeinkommen geschaffen ist. In dieser Hinsicht sind Schritte wie das Sockeleinkommen (z.B. Abschaffen des reduzierten Mehrwertsteuersatzes oder Einkommensteuerreform) für Deutschland nicht passend, da sie sich nicht an einer oder mehreren Gruppen orientiert. Das Sockeleinkommen ist aus diesem Blickwinkel eine neue, systemfremde Komponente, weshalb eine Einführung schwierig erscheint. Es passt durch seine Wirkung als Vereinfachung des Steuersystems eher dem liberalen Gedanken. Damit würde es besser direkt zur EU Ebene oder den Staaten mit liberalem Wohlfahrtsregime passen. Denn aus liberaler Sicht bieten sich als Argumentation für ein BGE vor allem die Aspekte einfaches Steuersystem und Entbürokratisierung an. Hierzu passen niedrige Beträge – zu Beginn auch in nicht existenzsichernder Höhe und deren schrittweise Steigerung. Schließlich wurde das BGE Modell der negativen Einkommensteuer mit einheitlichem Steuersatz (NIFT) unter diesen Gesichtspunkten vom durchaus als marktorientiert, liberal geltenden Milton Friedman propagiert.
Vom sozialdemokratisch-sozialistischem Wohlfahrtsregime aus ist die Argumentation praktisch am schwierigsten, weil die Höhe der bestehenden Sicherung schon erreicht ist. Eine Einführung über Schritte mit nicht existenzsichernder Höhe erscheint hier nicht durchsetzbar. Da diese Systeme durch den in der Wirtschaftstheorie vorherrschenden Liberalismus zunehmend unter Druck geraten sind, kann das Aufnehmen dieser Kritik einen Weg bieten. Also die Vorteile durch Vereinfachung oder Kosteneinsparungen herausstellen und in Richtung ‘Leistung lohnt sich wieder’ die liberale Kritik aufnehmen (Schweden hat hohen Krankenstand), so dass man letztlich das eigentlich schon erreichte Leistungsniveau für die Zukunft sichert anstatt Leistungen zu kürzen. Insgesamt erscheint eine Doppelstrategie sinnvoll. Einerseits in den einzelnen Ländern die Argumentation an die jeweiligen lokalen Wohlfahrtsregimes anpassen und andererseits auf EU-Ebene gerade im Hinblick auf die Krise die sozialen Verwerfungen mittels Grundeinkommen bekämpfen. Hierzu passt dann wieder die liberale Argumentation, da die Konstitution der EU Ebene liberal ausgerichtet ist.
BGE für Europa – Umsetzungsmöglichkeiten
Der abschließende Vortrag geht auf einige praktische Aspekte der Umsetzung beim EU-weiten BGE ein. Zwar ist grundsätzlich die Sozialpolitik nicht auf der EU Ebene sondern auf der Ebene der Mitgliedsstaaten angesiedelt, aber das BGE könnte die Integration der EU fördern. Immerhin gab es einen ersten öffentlichen Vorstoß auf EU Ebene zum BGE schon 2007 in der Frankfurter Rundschau durch Jean-Claude Juncker, der zur Zeit der Spitzenkandidat der Konservativen (EVP) zur Europawahl 2014 ist. Die direkte EU-weite Einführung in existenzsichernder Höhe ist nicht realistisch. Nur ein schrittweises Vorgehen erscheint auf EU Ebene erfolgversprechend. Insbesondere ist eine einheitliche Höhe von beispielsweise 1000 Euro durch die deutlich unterschiedlichen Lebenshaltungskosten und Einkommensniveaus innerhalb der EU besonders kritisch.
Ein Ausweg könnte eine Finanzierung mittels Hebesätze sein. Bei diesem Verfahren wird zuerst der Durchschnitt aller Lebenshaltungskosten z.B. 600 EUR ermittelt (indexierter Hundertwert). Dann wird der Betrag vor Auszahlung durch einen landesspezifischen Hebesatz modifiziert. Also z.B. wenn ein Land 10% unter dem Durchschnitt der Lebenshaltungskosten liegt dann wird auch der BGE Betrag entsprechend verringert. Dieses Verfahren kann man prinzipiell auch zum Ausgleich der Lebensbedingungen innerhalb eines Staates anwenden. Auf EU Ebene ist ein Ausgleichsmechanismus wegen der hohen Unterschiede praktisch notwendig. Für die Finanzierung an sich kommen auch EU weit grundsätzlich alle Steuerarten in Frage.
Allerdings fehlt auf EU Ebene eine gemeinsame Steuer. Prinzipiell ist die Finanzierung über eine einheitliche Steuer gar nicht notwendig. Denn es ist durchaus möglich, dass jeder Mitgliedsstaat das BGE für seine Bürger direkt auszahlt und dazu entsprechend beliebige Steuern erhebt. Der Referent bevorzugt den einheitlichen Ansatz mit Hebesätzen als Ausgleich, aber eine wissenschaftlich begründete Aussage hierzu kann er nicht anführen. Ausgehend von der aktuellen Lage kommt die Mehrwertsteuer in Frage, da hier eine EU weite Harmonisierung ohnehin angestrebt ist. Konkret gibt es deswegen eine EU weite Mindestbesteuerung in Bezug auf den normalen und ermäßigten Steuersatz. Zudem wird am heutigen System mit seinen Steuersätzen (in Deutschland 19%, 7% und 0%) seine Komplexität kritisiert. So gibt es einen Konflikt zwischen Frankreich, das den reduzierten Satz auf ebooks anwenden will und der EU Ebene, die anstrebt die Ausnahmen zu verringern statt auszuweiten.
Das BGE stellt einen steuerpolitischen Universaltransfer mit Steuererhebung an der Quelle dar. Dadurch realisiert es indirekt eine Progression, die der Mehrwertsteuer heute fehlt. Obwohl sich diese beispielsweise in Deutschland im Gesamtvolumen kaum mehr von den Einnahmen durch Lohn- und Einkommensteuer unterscheidet. Die Differenzierung durch den reduzierten Steuersatz verringert zwar das Problem der fehlenden Progression, aber löst es nicht und verkompliziert die Erhebung deutlich. Daher handelt die Differenzierung der Steuersätze am ihrem Zweck vorbei. Dies wird weithin – gerade außerhalb der BGE-Gemeinde- anerkannt und bietet damit einen Ansatz das BGE als Lösung inStellung zu bringen. (Anmerkung: entsprechend könnte ein Sockeleinkommem aus Abschaffung des reduzierten Satzes, wie in Neumarkt beschlossen, ein erster kleiner Schritt Richtung BGE sein, der dem zur EU Ebene passenden liberalen Pfad folgt). Allerdings müsste das BGE oder Schritte dahin in allen Mitgliedstaaten akzeptiert werden. Andererseits sind viele Verträge auf EU Ebene nicht von allen gezeichnet. Deswegen wäre die Einführung nur in einer Gruppe mit einigen Ländern denkbar, aber nicht wünschenswert.
Schließlich könnte das BGE ein bürgerbezogenes Element in der EU Politik sein und so diese dem einzelnen Bürger nahe bringen. Ob aber ein Einstieg in eine EU Sozialpolitik gelingen kann, ist gerade in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen offen. Dennoch könnte vielleicht gerade das BGE könnte als verbindendes Element Integration schaffen statt die bestehenden Wohlstandsgefälle in der EU zu verstärken und neue zu schaffen.
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